Recycling-Ratgeber, Kaufwarnungen und Dating-Tipps: Mit diesem Content bespielen Händler ihre Marketing-Kanäle

Gastbeitrag von Stephan Randler, freier Fachjournalist und spezialisiert auf E-Commerce, Versandhandel und Online-Marketing.

Mit Content möchten Händler ihre Marke bekannter machen und Kunden an sich binden. Zum Einsatz kommen dabei unterschiedliche Formate: beispielsweise Live-Shows, Online-Magazine oder Podcasts. Je nach Kanal unterscheiden sich die Inhalte bisweilen aber deutlich. Das belegen Praxis-Beispiele von Galaxus, Orion, dm und Tchibo – bei denen der Content übrigens überraschend wenig verkaufen muss.

Warum eigentlich dürfen kaputte Trinkgläser nicht ins Altglas? Das fragt man sich schnell, wenn einem zu Hause ein Wasserglas aus der Hand rutscht und zu Boden fällt. Denn die Scherben will man im ersten Moment im Altglas entsorgen – werden hier doch schon ausgediente Flaschen und Marmeladengläser gesammelt. Ausgerechnet beim Altglas haben kaputte Trinkgläser aber nichts verloren. Warum, erklärt der Online-Händler Galaxus. Und zeigt so beispielhaft, wie Händler mit Content für sich werben können.

Denn Content ist fest verankert im Online-Shop des Händlers, der ein Universalangebot bietet und sich als Online-Warenhaus positioniert. Um sich vom Wettbewerb abzugrenzen, gibt es im Galaxus-Shop ein eigenes Online-Magazin. Mehrere Artikel erscheinen hier am Tag – beispielsweise Produktvorstellungen, Testberichte oder redaktionelle Ratgeber wie der Artikel dazu, was denn nun eigentlich ins Altglas darf.

Mit diesem Content-Fokus befindet sich Galaxus in bester Gesellschaft. Denn Händler leisten sich heute nicht nur eigene Online-Magazine, sondern produzieren auch Podcasts oder streamen Live-Shows. Nicht ohne Hintergedanken. Denn mit redaktionellen Angeboten wollen Unternehmen mehr Aufmerksamkeit erreichen und ihre Marke bekannter machen, wie stellvertretend eine Content-Marketing-Trendstudie von Statista zeigt. Wichtig ist Entscheidern demnach auch, Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufzubauen.

Umsatzdenken schadet

Das deckt sich mit dem Content-Marketing-Konzept von Galaxus. “Wir wollen journalistisch unabhängig über Produkte informieren”, sagt Martin Jungfer, der als “Head of Content” die Inhalte verantwortet. Die Redaktion und das Shop-Team arbeiten daher getrennt voneinander. Galaxus ist es nämlich egal, ob sich ein Text auf den Umsatz auswirkt. Der Händler würde sich wohl auch selbst schaden, wenn der Content den Verkauf ankurbeln muss. Dann käme Galaxus schnell in die Versuchung, einzelne Produkte in Tests oder Ratgebern nur gut zu bewerten, um mehr Waren zu verkaufen. “Wenn wir das machen würden, wäre unsere Glaubwürdigkeit weg”, mahnt Jungfer – und das Magazin für Leser schnell uninteressant.

Ob Content erfolgreich ist, misst Galaxus daher an der Verweildauer – also an der Zeit, die Nutzer damit verbringen, die Magazin-Inhalte zu lesen. “Die wertvollste Währung ist die Zeit, die Menschen mit uns und unserer Marke verbringen”, weiß Jungfer. Deshalb gibt es bei Galaxus sogar Testberichte, in denen Artikel verrissen werden – etwa ein Lego-Set, das nach Meinung der Redaktion für einen hohen Preis zu wenig Bausteine bietet. Getrommelt wird für den Online-Shop aber trotzdem – zumindest ein bisschen.

Martin Jungfer, Head of Content bei Galaxus, Bildquelle: Galaxus

Denn der Link zum Lego-Set im Online-Shop taucht im Beitrag auf, selbst wenn hier der Artikel schlecht bewertet wird. Ein kluger Schachzug. So können sich Kunden selbst ein Bild machen und das Produkt im Online-Shop begutachten. Und wer schon den Online-Shop besucht, bestellt ja vielleicht was anderes.

Verweise zum Online-Shop finden sich immer wieder im Online-Magazin von Galaxus. Es gibt aber auch Formate, bei denen Produkte so gut wie gar nicht vorkommen. Das zeigt der Podcast “WillKommen” von Orion, den der Erotik-Händler vor vier Jahren gestartet hat. Abrufen können Interessenten den Podcast zum Beispiel bei der Audio-Plattform Spotify, zu hören gibt es redaktionelle Inhalte rund um Liebe, Lust und Leidenschaft: beispielsweise Dating-Tipps für Singles oder Vorschläge, wie sich offene Beziehungen führen lassen. Darüber diskutiert Orion-Mitarbeiterin Birte Fulde mit Gästen wie Sexualtherapeuten.

Produkte tauchen dagegen nicht auf. Ähnlich konzipiert ist der Podcast “Fünf Tassen täglich”, den Tchibo anbietet. “Der Podcast gibt uns Raum, um Themen zu vertiefen”, betont Tchibo-Sprecher Arnd Liedtke. Vorrangig gibt es daher auch hier redaktionelle Inhalte – etwa Tipps dazu, wie man guten Kaffee macht.

Arnd Liedtke, Tchibo-Sprecher, Bildquelle: Tchibo

Aufwand im Auge behalten

Kein Zufall. Denn Podcasts hören Verbraucher laut einer Studie von ARD und ZDF vor allem, um etwas zu lernen und sich zu informieren. Eine Verkaufsshow wirkt da fehlplatziert – zumal sich Produkte nicht gut präsentieren lassen, wenn es nur eine Tonspur gibt. “Man müsste Artikel aufwändig beschreiben, damit Zuhörer sich einen Artikel überhaupt vorstellen können”, weiß Orion-Mitarbeiterin Fulde, die als “Head of E-Commerce Marketing Strategy” beim Erotik-Spezialisten aus Flensburg für das Content-Marketing verantwortlich ist.

Händler wie Orion und Tchibo messen ihre Podcasts deshalb nicht am Umsatz. Wichtiger ist, wie lange Nutzer eine Episode hören – oder wie viele Downloads eine Episode hat. Um Reichweite zu generieren, muss man einen Podcast aber oft erst bewerben. Bestandskunden erreicht man zum Beispiel über eine Info, die man im Newsletter des Shops platziert. Zum Selbstläufer wird das Format dadurch aber nicht.

“Ein Podcast ist sehr aufwändig”, berichtet Birte Fulde. Denn die Folgen muss man nicht nur planen und einsprechen. Episoden werden gerne auch nachträglich bearbeitet, um so Versprecher zu löschen oder Tonschwankungen auszugleichen. Diesen Aufwand kann man sich zwar auch sparen. Fulde rät aber dazu, den Content bestmöglich auszuspielen: “Einem schlecht gemachten Podcast zuzuhören, ist die Hölle.”

Birte Fulde, Head of E-Commerce Marketing Strategy bei Orion, Bildquelle: Orion

Allein bei Orion dauert eine Folge schließlich schon einmal fast eine Stunde. Weil der Aufwand hoch ist, hat Orion seinen Podcast nach zweieinhalb Jahren wieder eingestellt. Bei Instagram und TikTok gibt es dagegen nach wie vor neue Beiträge. “Hier kann man Inhalte schneller produzieren und posten, ohne den Content groß zu editieren”, erklärt Fulde. Auch der Content an sich ist anders konzipiert. Auf Social Media postet Orion nämlich gerne kurze Videos. In diesen erklären Mitarbeiter, wie man beispielsweise eine offene Beziehung führen kann. Neben Bewegtbildern gibt es zudem Posts, in denen nur ein Produkt vorgestellt oder ein Rabatt beworben wird. Solche Beiträge bestehen oft nur aus einem Bild oder aus einer Bilderstrecke. Dieser Mix aus Content und Commerce ist nicht unüblich in sozialen Netzwerken.

Bei Orion kommen jedenfalls neben redaktionellen Inhalten auch produktbezogene Postings an. Das ist kein Zufall. Umfragen zufolge werden soziale Netzwerke von Anwendern nämlich auch genutzt, um sich über Produkte zu informieren. Content-Strategin Fulde wundert das nicht: “Aus sozialen Netzwerken heraus können Nutzer einfach in einen Online-Shop wechseln, wenn sie ein Produkt interessiert.” Am beliebtesten sind bei Orion aber die Beiträge auf Instagram und TikTok, die humorvolle Inhalte bieten.

Instagram-Posts von Orion, Bildquelle: Orion

Auffallen in der Content-Flut

Orion postet daher immer wieder witzige Kurzvideos. Zu sehen gibt es dann beispielsweise Mitarbeiter, die mit verbundenen Augen ein Sextoy am Geräusch erraten sollen. Das fällt auf – und sticht heraus aus der Masse. Schließlich wird in sozialen Netzwerken ständig Content gepostet. Wer nicht untergehen will in dieser Flut, muss sich etwas einfallen lassen. Das weiß auch Galaxus: “Mit dem Content aus unserem Online-Magazin gewinnen wir auf Social Media keinen Blumentopf”, berichtet Content-Stratege Jungfer.

Während das Online-Warenhaus für sein Magazin journalistische Texte schreibt, werden für Instagram und TikTok daher Videos produziert. Doch damit nicht genug. Bisweilen provoziert der Online-Händler sogar bewusst mit seinen Kurzvideos, um aufzufallen. Das zeigt ein Post mit einem kurzen Video, indem Galaxus verschiedene Produkte vorstellt, die Nutzer auf keinen Fall bei dem Online-Warenhaus kaufen sollten. “Auf Social-Media-Portalen gibt es unzählige Influencer, die etwas verkaufen wollen”, erzählt Content-Stratege Jungfer. “Wir brechen mit diesem Klischee, indem wir vor Produkten warnen.”

Social-Media-Post von Galaxus, Bildquelle: Galaxus

Bei aller Social-Media-Euphorie sollten Händler aber immer im Hinterkopf behalten, dass sie nicht ihre eigenen Kanäle bespielen – sondern ja die Plattformen von Drittanbietern. Damit macht man sich von den großen Online-Portalen abhängig. Wenn man sich nämlich von einem Portal verabschiedet, geht auch der Zugang zu der Zielgruppe dort verloren. Aufpassen muss man letztlich auch bei Podcasts. Den Audio-Content kann man zwar prinzipiell auch nur auf der eigenen Website anbieten. In der Regel aber platzieren Entscheider ihren Audio-Content zusätzlich auf externen Online-Portalen wie Spotify, um die Zielgruppe auf diesen Plattformen zu erreichen – so macht es Tchibo bei seinem Podcast zum Beispiel.

Fokus auf eigene Kanäle

Klug ist also, eigenen Content auch möglichst auf eigenen Portalen auszuspielen. So gesehen macht dm viel richtig. Denn der Drogeriemarkt sendet Live-Shows, die zwar in Social Media beworben werden. In Echtzeit sehen kann man diese Live-Streams aber nur über die hauseigene Smartphone-App von dm.

dm Live-Streams, Bildquelle: dm-drogerie markt

Experten, Vertreter von Marken oder Mitarbeiter von dm sprechen in den Shows allgemein über Themen oder stellen Produkte vor. Manche Shows bieten daher Beauty-Tipps, ein anderes Mal dreht sich alles um das Angebot einer Marke. Über ein Icon am Bildrand lassen sich direkt die Produkte einblenden, die in einer Show vorgestellt werden. Wer also einen Artikel kaufen will, kann sofort in den Shop wechseln. Um Nutzer zu ködern, gibt es bisweilen auch exklusive Coupons für den Online-Shop in einer Live-Sendung.

Verkaufen muss das Format aber nicht. “Unser Ziel ist, einen Mehrwert zu bieten”, betont Julius Scheidt, der Projektmanager für Social Media ist und das Format “dm Live” verantwortet. Wichtig ist für ihn, wie viele Zuschauer eine Sendung erreicht oder wie lange Nutzer zusehen. Pro Monat gibt es fünf bis sieben neue Shows, die jeweils 20 bis 60 Minuten dauern – was so in etwa auch bei Podcasts üblich ist. Einzelne Inhalte zeigt dm auch auf Social Media, dann aber in einer abgespeckten Version – etwa ohne Coupons.

Julius Scheidt, Projektmanager Social Media bei dm, Bildquelle: dm-drogerie markt

Nach der Premiere werden die Shows auf der Website von dm veröffentlicht – übrigens extra ohne eine Nachbearbeitung, um laut Scheidt die “Authentizität einer Show” zu bewahren. Auf YouTube postet dm die Sendungen aber nicht. “Wir haben für jeden Social-Media-Kanal eine eigene Strategie”, sagt Scheidt. Auf dem Video-Portal gibt es daher andere Inhalte: beispielsweise mehrminütige Videoclips, in denen Mitarbeiter durch einen Markt gehen, an den Regalen stehen bleiben und hier neue Produkte zeigen.

Guter Content wirkt lange

Neuheiten bewirbt dm ebenfalls bei Instagram – aber in sehr kurzen Videos, in denen nur die Produkte nacheinander vor die Kamera gehalten werden. Das passt zur schnelllebigen Social-Media-Welt, zeigt aber auch: Content-Marketing kann sehr komplex werden, wenn Händler parallel verschiedene Kanäle mit passenden Inhalten bespielen wollen. Zumal Unternehmen in der Regel nicht nur einmal Content posten, sondern regelmäßig. Der Erotik-Spezialist Orion beispielsweise veröffentlicht jeden Tag neue Inhalte auf Social Media. “Für uns ist es extrem wichtig, dass wir täglich sichtbar sind”, argumentiert Content-Expertin Fulde. Jeden Tag liefert auch Galaxus neue Inhalte – aber nur im eigenen Magazin. Bei Instagram dagegen vergehen schon mal ein paar Tage, bis es hier wieder Neuigkeiten gibt. ”Eine hohe Content-Taktung auf Social Media ist nicht unsere Zielmetrik”, argumentiert Content-Experte Jungfer.

In den sozialen Netzwerken takten Händler ihre Inhalte also durchaus unterschiedlich. Bei Live-Streams und Podcasts dagegen ist es üblich, dass nur jede Woche oder alle 14 Tage neue Folgen erscheinen. Den langsameren Takt bedingt hier aber auch das Format: Weil es schnell aufwändig werden kann, lassen sich oft gar nicht täglich neue Inhalte produzieren. Diese Erfahrung hat jedenfalls Orion gemacht. Hier wurde der Podcast allerdings auch komplett inhouse umgesetzt, während Tchibo beispielsweise für Aufnahme, Schnitt und Ausspielung eine Agentur beauftragt. Wie aufwändig ein Format ist, lässt sich also pauschal nicht sagen: Es hängt schließlich ja auch immer davon ab, was man selbst macht – und was man abgibt.

Unabhängig davon sollten Händler nur Inhalte posten, wenn sie auch interessanten Content haben. Der Aufwand dürfte sich dann aber lohnen. Denn Ratgeber, Tipps und Hintergründe sind ja immer wieder für neue Nutzer spannend, die sich für so ein Thema interessieren. “Eine Podcast-Folge gewinnt bei uns über Monate neue Zuhörer”, bemerkt beispielsweise Tchibo-Sprecher Liedtke. Um immer wieder neue Hörer zu erreichen, ist auch der Podcast von Orion nach wie vor bei Spotify gelistet – obwohl nun schon länger keine neue Episode mehr dazu gekommen ist. Auch Galaxus erreicht immer wieder andere Verbraucher, die sich bei Google über ein Thema informieren – und dann einen Artikel aus dem Magazin entdecken.

Der Ratgeber zum Altglas lockt daher kontinuierlich Nutzer in den Online-Shop – auch wenn der Artikel bereits einige Jahre alt ist und mit Galaxus an sich ja wenig zu tun hat. Es hat trotzdem seinen Grund, dass der Online-Händler solche Artikel publiziert: “Mit unseren Ratgebern liefern wir Antworten auf Fragen, die sich um das Konsumverhalten drehen”, argumentiert Content-Experte Jungfer. Übrigens: Kaputte Trinkgläser sollen Verbraucher unter anderem deshalb nicht ins Altglas werfen, weil sie aus einem anderen Material bestehen als Glasverpackungen. Wird alles vermischt, kann so das Recycling erschwert werden. Das liest man jedenfalls bei Galaxus – bevor man ja danach vielleicht dort einkauft.